08 Die Prüfung – Aufklärung oder Trost?

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RS_Die-Pruefung_Aufklaerung-oder-Trost_w600_h385Martha braucht frische Luft. Und als sie ins Freie tritt, erblickt sie hinter der Gartenmauer ihren Nachbarn Herrn Kluge, einen pensionierten Lehrer. Darüber ist Martha sehr froh, denn er ist immer nett und freundlich zu ihr und sie hat Vertrauen zu ihm. Erregt eilt sie auf ihn zu.

Ihre Augen sind von Tränen gerötet und ihre zitternde Hand hält dem alten Herrn einen Brief entgegen. Ohne Einleitung bricht es schmerzlich aus ihr hervor: “Ach, Herr Kluge, womit habe ich das verdient – Erwin will mich verlassen! Hier, lesen Sie nur. ”

Ernst und aufmerksam beginnt Herr Kluge zu lesen und bald ist er auf Worte gestoßen, die, wie er vermutet, Martha so sehr in Aufregung versetzt haben könnten: „Erwin schreibt … es wird das Beste sein, wenn wir uns eine Weile trennen.”

Martha stöhnt laut auf: ” Trennen will er sich von mir!”

Herr Kluge spricht in ruhigem Ton weiter: “Doch nur eine Weile, schreibt er, und er begründet diesen Vorschlag mit folgenden Worten: um Abstand zu gewinnen und unsere Beziehung zu überprüfen.”

Martha unterbricht: “Was will er denn überprüfen? Ich lebe in bescheidenen Verhältnissen. Und wie ich eingerichtet bin und was ich auf dem Sparbuch habe, weiß er doch schon.”

Herr Kluge liest weiter: “Erwin schreibt: … zu überprüfen, ob unsere Liebe stark genug ist, allen Gefahren zu trotzen und gemeinsam in Treue stets einander beizustehen.”

“Welchen Gefahren denn? Ist s ein Arbeitsplatz in Gefahr? Aber Erwin ist doch Beamter – nein, er verheimlicht mir etwas, was ich nicht wissen soll!”

“Aber so meint Erwin das nicht. Nur so im Allgemeinen, das Leben ist nun mal nicht leicht, und man muss stark sein und kämpfen.”

Martha versteht das: “Das stimmt, leicht hat das unsereiner nicht. Mein Vater hat immer gesagt, Martha, hat er gesagt, lass dich nicht unterkriegen und kämpfe.”

“Sehen Sie! Und Erwin möchte, dass sie – jeder für sich – prüfen, ob sie ernstlich bereit sind, das Leben gemeinsam zu packen.”

“Ach, er will wissen, ob ich es ernst meine.”

“Ja, er will für sie beide gewissermaßen eine Bedenkzeit einlegen.”

“Mehr nicht?”

“Nein, das ist es, was Erwin Ihnen vorschlägt.”

“Ach so ist das.”

“Ja, so ist das.”

“Na, da danke ich Ihnen vielmals, Herr Kluge, dass Sie mir geholfen haben. Was bin ich froh, Sie als Nachbarn zu haben.”

“Gern geschehen, Sie wissen, Sie können mit Ihren Sorgen jederzeit zu mir kommen.” Damit wendet sich Herr Kluge wieder seiner Gartenarbeit zu und Martha ist imstande sich einigermaßen beruhigt ins Haus zu begeben.

Da klingelt das Telefon. Ihre Freundin Erika fragt: “Wie geht es dir?”

“Ach Erika, gut dass Du anrufst – Ich habe einen Brief von Erwin bekommen…”

“Erwin schreibt dir Briefe?? Wo Ihr euch doch jeden Tag sehen könnt? Das versteh’ ich nicht.”

“Ich versteh das auch nicht. Hör nur, was er schreibt…!”

“Das muss ja was ganz Schlimmes sein, deine Stimme ist ganz zitterig und… liebe Martha, du weinst ja! Was, um Himmels willen, schreibt er denn!?!”

“Ach Erika, ich kann es noch gar nicht fassen.”

“Was ist passiert?”

“Erwin will mich verlassen!!”

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Alle Rechte: RS

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