Großvaters Erbschaft – in den Tiefen des Unbewussten

RS_Grossvaters-Erbschaft_w600_h410“Wie hoch hinaus willst du noch? Ich kann dir nicht weiter folgen.”

“Dann bleibe wo du bist und lasse mich los und warte auf das, was geschehen wird.”

“Ich kann dich nicht loslassen, ich habe Angst um dich, hinter der Felskante ahne ich eine Gefahr.”

“Ja, da ist ein dunkler Abgrund. Ich bin am Ziel.”

“Du willst dich doch nicht hinabstürzen?”

“Aber nein, ich habe anderes zu tun.”

“Was denn?”

“Hast du dich nie gefragt, warum ich diesen schweren Stab mit mir herumtrage?”

“Ich denke mir, dass du Großvater noch sehr verehrst und seine Erbschaft, dieses hölzerne Monstrum, nicht wegwerfen kannst. Habe dich nie verstanden, warum du dich mit dem nutzlosen Ding abschleppen musst.”

“Vielleicht ist der Stab nutzlos, wie du sagst, aber sinnlos ist er gewiss nicht. Hier an der Grenze zwischen festem Boden und dunklem Abgrund erkenne ich klar seine Bedeutung für mich.”

“Na, da bin ich aber froh. Was willst du nun tun und welche Bedeutung hat er?”

“Kannst du sehen, wie ich den Stab senkrecht in die Tiefe gleiten lasse? Er wird jetzt ganz leicht. Bisher trug ich ihn mühsam auf den Schultern. Nun scheint es fast so, als ob ich an ihm Halt finde.”

“Ein verrücktes Ding. Sollst du mit ihm da unten herumstochern in Sachen, die uns nichts angehen?”

“Großvater hat mir viel erzählt von dieser Felskante, dass hier geheimnisvolle Wesen wohnen, die uns Wesentliches zu offenbaren hätten.”

“Ich habe immer an dir beobachtet, dass du allem auf den Grund gehen willst. Hat mich immer sehr beeindruckt und hat mir gefallen, wenn es uns auch manches Mal auch auf die Nerven ging. Ich liebe dich darum und bin dir gerne bis hierher gefolgt. Doch jetzt wird mir recht bange.”

“Bleibe ruhig auf deinem Platz und lass mich nur machen.”

“Ich lasse dich ja, aber ich lasse dich nicht allein, wir wollen verbunden bleiben.”

“Gut so, das wird mir bei der Aufgabe, die Großvaters Erbschaft mir auferlegt hat, helfen. Der Stab haftet an meinen Händen und die spüren hier oben wie sich etwas am unteren Ende bewegt. Eine unsichtbare Kraft führt den Stab und ich beginne, etwas von ihr zu begreifen. Da hebt sie ihr Angesicht mir entgegen.”

“Was siehst du?”

“Was ich sehe? Ich kann es nicht sagen. Ich verliere meine Worte im Schauen. Ich verliere mich im Schauen…. habe Geduld……”

“Ach, wie lange dauert nun schon dein Schweigen. Es ist Abend geworden und kühl. Ich sehe von dir nur noch einen Schatten. Deinen Fuß aber spüre ich warm und sein fester Stand gibt mir Sicherheit, da kann ich ganz ruhig bleiben und ein wenig schlafen bis du dich meiner wieder erinnern wirst.”

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Alle Rechte: RS

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